Hockenheim: Bürger wollen endlich mehr Schutz vor Bahnlärm

Bahnchef Fricke stellt sich persönlich der Diskussion / Fricke: „Sollte die Stadt Hockenheim eine Finanzierung für die Mehrkosten der Variante 12 finden, wird die Bahn jederzeit die notwendige Planänderung veranlassen“ / Gutting MdB: „Nach 30 Jahren muss jetzt endlich eine Lösung gefunden werden“ / OB Gummer: „Unser Vertrauen in die Deutsche Bahn ist nicht besonders ausgeprägt“

Foto: Diskussion in Hockenheim mit Bahnchef Fricke - Foto: Busse

„Bürger gegen Bahnlärm“ und „Versprochen – gebrochen“: So lauteten die Aufschriften von zwei Transparenten, mit denen am heutigen Donnerstagmorgen Hockenheimer Bürgerinnen und Bürger Eckhart Fricke, den Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn (DB) AG für Baden-Württemberg, und weitere DB-Vertreter am Hockenheimer Bahnhof empfingen. Der Bahnchef war in die Rennstadt gekommen, um sich persönlich der Diskussion um den Lärmschutz entlang der Rheintalbahn Mannheim/Stuttgart in Hockenheim zu stellen. Sowohl Olav Gutting MdB, Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer wie auch zahlreiche Stadträte waren unter anderem mit von der Partie.

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Worum es im Kern geht, erklärt eine vom 26. Januar 1982 zwischen der DB und der Stadt Hockenheim zusätzlich zum Planfeststellungsbeschluss getroffene Vereinbarung:

„1. Gemäß Vereinbarung vom 18.12.1976 hat sich die Deutsche Bundesbahn verpflichtet, bei Tag und Nacht einen Mittelungspegel von 50 dB(A) + 2 dB(A) sowie einen Maximalpegel von 65 dB(A) (ohne Plustoleranzen) einzuhalten.

2. Die in Abs. 1 zugesicherten Pegel sind von der Deutschen Bundesbahn durch Beweissicherungsverfahren zu überprüfen.

3. Sollte das Beweissicherungsverfahren ergeben, dass die zugesagten Werte nicht eingehalten werden, verpflichtet sich die Deutsche Bundesbahn, die notwendigen Nachrüstmaßnahmen unverzüglich zu treffen.

4. Fürsorglich wird darauf hingewiesen, dass sich die Deutsche Bundesbahn gegenüber der Stadt und dem Regierungspräsidium Karlsruhe verpflichtet hat, für weiteren Schallschutz zu sorgen, falls die in dem Gutachten angegebenen Mittelungspegel überschritten, bzw. wenn nach Inkrafttreten des Lärmschutzgesetzes andere Grenzwerte gefordert werden.“

In den folgenden Jahren ergaben schalltechnische Untersuchungen hohe Pegelüberschreitungen, die Deutsche Bahn erhob im Mai 2003 die Einrede der Verjährung, im Dezember 2003 berief sie sich auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, da ihrer Ansicht nach ein Festhalten an der Vereinbarung unter anderem wirtschaftlich nicht mehr zuzumuten sei.

Im April 2004 erhob der Bevollmächtigte der Stadt Hockenheim Klage vor dem Verwaltungsgericht Karlsruhe, der Bevollmächtigten der DB Netz AG beantragte Klageabweisung. Außergerichtlich wurde sie daraufhin auf Folgendes geeinigt:

„1. Die Beklagte (DB) anerbietet, binnen eines Jahres Lärmschutzmaßnahmen ermitteln zu lassen für eine 2-geschossige Bebauung, wie wenn die Maßnahmen im klagegegenständlichen Bereich heute planfestzustellen wären.

2. Die Beklagte sagt zu, die Klägerin zeitnah über den Gutachterauftrag, den Fortschritt der Begutachtung sowie das Ergebnis zu informieren.

3. Die Beklagte verpflichtet sich, wenn sich danach planfeststellungsbedürftige Maßnahmen des aktiven Lärmschutzes als erforderlich erweisen sollten, einen entsprechenden Antrag beim Eisenbahn-Bundesamt zu stellen.“

Im April 2007 verabschiedete der Gemeinderat der Stadt Hockenheim eine Resolution zum Lärmschutz entlang der Neubaustrecke Mannheim – Stuttgart, da die DB bis zu diesem Zeitpunkt keine Unterlagen vorgelegt hatte.

So ging es munter weiter, immer wieder hin und her. Im März 2011 übersandte die DB das Projektdossier „Lärmschutz Hockenheim“, einen Monat danach fand ein Gespräch zwischen Vertretern der DB und der Stadt Hockenheim Stadt, hierbei wurde auch das Endergebnis der Gutachten zur schalltechnischen Untersuchung (12. April 2011) übergeben. Verschiedene Lärmschutzvarianten wurden geprüft, letztlich sprach sich die Bahn für die Variante 7 (Maßnahmen: partielle Erhöhung der Lärmschutzwand (Bau einer 1,5 m hohen Wand am Bahnhof), BÜG (Schleifen der Gleise) und passiver Schallschutz) aus, zumal das Eisenbahnbundesamt nur diese Variante als genehmigungsfähig ansehe. Kostenpunkt: rund 9,1 Mio. Euro.

Die Stadt Hockenheim indes präferiert die Variante 12 (Neubau von Schallschutzwänden mit einer Höhe 8 m, BÜG (Schleifen der Gleise) und passiver Schallschutz). Kostenpunkt: rund 18,1 Mio. Euro.

Foto: Diskussion in Hockenheim mit Bahnchef Fricke - Foto: Busse

Fricke erklärte hierzu heute in Hockenheim: „Im Vorfeld wurden 15 Varianten schalltechnisch untersucht und monetär bewertet. In der weiteren Diskussion zwischen der Stadt Hockenheim und der DB Netz AG hat man die Varianten 7 und 12 intensiver betrachtet. Danach bevorzugt die Bahn die Variante 7, welche die Schallsituation durch Einführung des `Besonders überwachten Gleises´ verbessert. Das `Besonders überwachte Gleis´ reduziert durch regelmäßiges Schleifen der Schienen die Schallimmissionen am Kontakt Rad-Schiene um bis zu drei Dezibel und bietet so aktiven Schallschutz. Darüber hinaus sind passive Schallschutzmaßnahmen an allen Objekten vorgesehen, an denen die Grenzwerte der 16. Bundes-Immissionsschutzverordnung überschritten werden. Diese Wohneinheiten können unter anderem Schallschutzfenster und Lüfter erhalten. Für diese Variante hat die Bahn im Juni 2012 das Planfeststellungsverfahren eingeleitet. Die Variante 12 als Wunschvariante der Stadt Hockenheim sieht den Neubau von Schallschutzwänden mit einer Höhe von acht Metern sowie ebenfalls das `Besonders überwachte Gleis´ vor. Auch bei dieser Variante werden in erheblichem Umfang passive Schallschutzmaßnahmen erforderlich. Die Mehrkosten für diese Variante sind derzeit jedoch nicht finanziert, da der Grundsatz der wirtschaftlichen Mittelverwendung auf Basis des besten Kosten-/Nutzenverhältnisses anzuwenden ist.“

Bahnchef Eckhart Fricke unterstrich ferner: „Die DB verschließt sich dieser Variante nicht. Sollte die Stadt Hockenheim eine Finanzierung für die Mehrkosten dieser Variante finden, wird die Bahn jederzeit die notwendige Planänderung veranlassen. Wir ignorieren das nicht, wir meinen das ernst.“

Foto: Diskussion in Hockenheim mit Bahnchef Fricke - Foto: Busse

Hockenheims Oberbürgermeister Dieter Gummer sprach sich nochmals für die Variante 12 aus. Dass das Verhältnis zwischen der Stadt Hockenheim und der Deutschen Bahn belastet ist, wird an Gummers Äußerung deutlich: „Unser Vertrauen in die Deutsche Bahn ist nicht besonders ausgeprägt.“

Olav Gutting MdB schaute abschließend nach vorne und stellte fest: „Ich habe großes Verständnis dafür, dass es auf Hockenheimer Seite großen Unmut gibt. 30 Jahre sind eine fast unendliche Geschichte. Wir brauchen eine zeitnahe Lösung, wir müssen jetzt einen Knopf daran machen.“ (Text/Fotos: Busse)