Olav Gutting MdB: Rede zur Pendlerpauschale - Über einen wirklichen Systemwechsel in der Einkommensteuer nachdenken

Olav Gutting MdB nahm in der Aktuelle Stunde zum Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wie folgt zur Pendlerpauschale Stellung:

"Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ich war am letzten Dienstag in Karlsruhe bei der Urteilsverkündung.


(Dirk Niebel [FDP]: Das war ein guter Tag!)

Ich glaube, es gehört zur Aufrichtigkeit dazu, zuzuge­ben, dass dieser Tag für die Große Koalition im Deut­schen Bundestag kein guter Tag war.

(Beifall bei der FDP – Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben also keinen Sekt getrunken?)

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar nicht ein­stimmig, aber eben doch mehrheitlich entschieden, dass die 2006 mit den Stimmen der Großen Koalition be­schlossene Abschaffung der Pendlerpauschale unter an­derem nicht mit dem objektiven Nettoprinzip vereinbar ist.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Das haben wir aber schon vorher ge­wusst!)

Das ist zu akzeptieren. Wir sollten auch politisch die Größe haben, diese Niederlage vor dem Bundesverfas­sungsgericht als solche zu bezeichnen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dann mal Butter bei die Fische!)

Ich gehöre aber nicht zu denen, die jetzt sagen: Vielen Dank, liebes Bundesverfassungsgericht! Danke für die­ses zusätzliche Konjunkturprogramm!

Die Entscheidung im Jahre 2006, die Pendlerpau­schale erst ab dem 21. Kilometer zu gewähren, haben wir damals nicht aus Jux und Tollerei getroffen. Es gab für uns damals zwingende haushalterische Gründe. Die damit verbundenen Einsparungen sollten dazu beitragen, den Bundeshaushalt, der damals ein strukturelles Defizit von beinahe 60 Milliarden Euro aufwies, zu sanieren.

Aber: Urteil ist Urteil. Wir haben uns daran zu halten. Insofern ist es folgerichtig, dass wir über die Rückkehr zur alten Pendlerpauschale den Bürgerinnen und Bür­gern für die Jahre 2007, 2008 und 2009 fast 8 Milliarden Euro zurückgeben. Ich bin froh, dass das Geld hier we­nigstens bei den Richtigen ankommt. Das sind nämlich diejenigen, die tagtäglich früh aufstehen, teilweise lange Strecken zur Arbeit auf sich nehmen, sich um ihre Fami­lien kümmern, die Wirtschaft am Laufen halten und den Karren in diesem Land ziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

All den Schlaumeiern, die schon immer gewusst ha­ben, dass die Änderung bei der Pendlerpauschale verfas­sungswidrig ist, kann ich nur empfehlen, einmal das Ur­teil des Bundesverfassungsgerichts zu lesen.

(Dirk Niebel [FDP]: Die Schlaumeier haben gewonnen!)

Das Bundesverfassungsgericht sagt: Die dem Steuerge­setzgeber – also uns – zustehende Gestaltungsfreiheit umfasst von Verfassungs wegen die Befugnis, neue Re­geln einzuführen, ohne durch Grundsätze der Folgerich­tigkeit an frühere Grundentscheidungen gebunden zu sein.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Aber richtige Regeln dann! Verfas­sungskonforme Regeln!)

Dies setzt allerdings voraus, dass wirklich ein neues Regelwerk geschaffen wird.

(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ­NEN]: Genau!)

Das Bundesverfassungsgericht erklärt also das Werktor­prinzip nicht grundsätzlich für unzulässig, sondern es stellt fest, dass es prinzipiell im Ermessen des Gesetzge­bers steht – aber eben nur dann, wenn hiermit auch ein grundsätzlicher Systemwechsel erfolgt, ein System­wechsel und nicht das seit Jahrzehnten übliche Herum­geschraube am Einkommensteuergesetz.

(Dr. Volker Wissing [FDP]: Das die Große Koalition fortgesetzt hat!)

Ich empfinde deswegen dieses Urteil als Ruf des Bundesverfassungsgerichts nach dem großen Wurf bei der Einkommensteuer. Wir sollten daher diese Entscheidung als Anstoß betrachten, über einen wirklichen System­wechsel in der Einkommensteuer nachzudenken. Es muss eine Einkommensteuerreform geben, die entlastet, die radikal vereinfacht und die schon aufgrund ihrer Ein­fachheit ein Mehr an Gerechtigkeit bedeutet.

(Zuruf von der LINKEN: Auf dem Bier­deckel!)

Lassen Sie uns daran arbeiten.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)