„Ich werde Merz wählen“

Interview mit dem Mannheimer Morgen: CDU-Bundestagsabgeordneter Olav Gutting erwartet ein enges Rennen um den Parteivorsitz

(Autor: Walter Serif) Mannheim. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Olav Gutting glaubt nicht, dass seine Partei dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder die Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2021 überlässt.

Herr Gutting, Oskar Lafontaine hat sich 1995 in Mannheim mit einer mitreißenden Rede den SPD-Vorsitz erkämpft. Wie wichtig ist das Publikum bei Parteitagen?
Olav Gutting: Es spielt eine große Rolle. Friedrich Merz hat ja 2018 in Hamburg mit einer grottenschlechten Rede seine Kandidatur als CDU-Parteichef versemmelt. Merz hat später zu mir gesagt: Das passiert mir nicht noch einmal.

Glauben Sie wirklich, dass die CDU ihren Parteitag im Dezember mit Publikum abhalten kann?
Gutting: Natürlich. Die Statuten der CDU und das Parteiengesetz lassen nichts anderes zu. Es kann aus rechtlichen Gründen keinen virtuellen Parteitag geben.

Aber auch einen mit 1001 Delegierten? Wäre das in diesen Corona-Zeiten nicht der helle Wahnsinn?
Gutting: Wir brauchen die komplette Delegiertenzahl. Das schreibt unsere Satzung vor. Unsere Juristen sagen: Auch die Satzung kann nur durch einen Parteitag mit Delegierten vor Ort geändert werden. Natürlich ohne Zuschauer und in abgespeckter Form.

Warum verschiebt die CDU nicht einfach ihren Parteitag aufs nächste Jahr? Die Bundestagswahl ist ja erst im September 2021. Da bliebe doch noch genügend Zeit.
Gutting: Das geht nicht. Wir müssen für klare Verhältnisse an der Parteispitze sorgen. Die CDU hat schon seit sechs Monaten eine Führung auf Abruf. Wir brauchen einen Nachfolger für Annegret Kramp-Karrenbauer noch in diesem Jahr.

Als konservativer Politiker schlägt Ihr Herz für Merz. Hat der wirklich eine Chance gegen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet?
Gutting: Ich erwarte ein enges Rennen, denn viele Delegierte sind, wie aus der Partei zu hören ist, noch unentschieden. Aber ich werde natürlich Merz wählen.

Warum ist das Rennen so eng?
Gutting: Viele meiner Kollegen schwanken. Bei manchen spricht der Bauch für Merz, der Kopf aber für Laschet. Es sind aber natürlich auch taktische Überlegungen im Spiel.

Welche denn?
Gutting: Wenn zum Beispiel der Wirtschaftsfachmann Merz Kanzlerkandidat der Union wird, dürften es die Liberalen schwerer haben, 2021 in den Bundestag zu kommen. Das könnte die Parteien links der Mitte stärken.

Und gegen Merz spricht, dass er kein großer Fan der Grünen ist?
Gutting: Da muss ich widersprechen. Es gibt auch in der Politik nicht nur Liebeshochzeiten. Man muss also kein Fan der Grünen sein, um eine Koalition mit ihnen eingehen zu können. Merz hätte keine großen Probleme mit den Grünen, da bin ich mir sicher.

Über Norbert Röttgen haben Sie noch kein Wort verloren. Weil er chancenlos ist?
Gutting: Ich kenne ihn und schätze ihn sehr. Ich glaube aber nicht, dass Röttgen bei der Entscheidung über den CDU-Vorsitz eine Rolle spielt.

Obwohl er jetzt in der Russlandkrise auf allen Kanälen zu sehen ist?
Gutting: Ja, das wird ihm auch nicht helfen. Dass Röttgen die Mehrheit des Parteitags hinter sich bekommt, halte ich für ausgeschlossen.

CSU-Chef Markus Söder hätte nach seinen eigenen Worten kein Problem damit, wenn die Union ihren Kanzlerkandidaten erst im März 2021 bestimmt. Ist das eine Schnapsidee?
Gutting: Ich glaube nicht, dass er das wirklich ernsthaft anstrebt. Im Dezember stehen die Parteitage der CDU und der CSU kurz hintereinander an. Danach muss nach meiner Meinung innerhalb weniger Tage entschieden werden.

Vielleicht spielt Söder auf Zeit und hofft, dass die CDU noch einsieht, dass sie weder mit Merz noch mit Laschet als Kanzlerkandidat gewinnen kann?
Gutting: Ich kann es mir nicht vorstellen, dass einer der beiden nach seiner Wahl zum CDU-Chef Söder den Vortritt lassen würde. Die Wahl des CDU-Vorsitzenden ist für mich auch die Wahl unseres Kanzlerkandidaten. Außerdem hat Söder bisher immer gesagt, sein Platz sei in Bayern.

Sie haben in der Vergangenheit Angela Merkel häufig kritisiert.
Gutting: Objektiv betrachtet, macht sie einen exzellenten Job.

Sagen Sie das jetzt nur so?
Gutting: Nein, ich werde sie vermissen. Und nicht nur ich, sondern viele ihrer Kritiker in der Partei.

. . . . . die wie Sie mitschuldig sind, dass Merkel den Parteivorsitz abgegeben hat . . .
Gutting: . . . ja, das stimmt. Aber ich bleibe dabei: Merkels ruhige, nüchterne und unprätentiöse Art wird uns allen fehlen.

Schlägt da bei Ihnen eine verfrühte Altersweisheit durch oder die Angst, dass die Union ohne Kanzler-Bonus 2021 scheitern könnte?
Gutting: Klar ist: Ohne Merkel beginnt auch bei uns eine neue Ära. Aber unser Blick richtet sich nach vorn, und ich freue mich auf diesen Neuanfang. Die Menschen sehen schon, dass die CDU weit mehr als Angela Merkel ist.

© Mannheimer Morgen / Foto: Tobias Koch