Was heißt eigentlich „Ein-China-Politik“?

Olav Gutting MdB veröffentlicht Mitgliederbrief des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz an die Mitglieder der CDU Deutschlands (#MerzMail110)

"Liebe Leserin, lieber Leser, neben dem Krieg in der Ukraine erweist sich der eskalierende Konflikt zwischen China und Taiwan als eine der größten Bedrohungen des Friedens auf der Welt. Die Volksrepublik China, das kommunistisch regierte „Mainland China“, beansprucht seit Jahrzehnten die Wiedervereinigung mit der Inselgruppe Taiwan, auf die nach dem Bürgerkrieg im Jahr 1949 die unterlegenen Truppen des Kuomintang-Anführers Chiang Kai-shek geflüchtet waren und die dort zunächst eine Ein-Parteien-Herrschaft etabliert hatten.

Von 1949 an – dem Jahr der Ausrufung der „Volksrepublik China“ – bis zum Beginn der 1970er Jahre repräsentierte die Regierung der Republik China, wie sich Taiwan bis heute nennt, ganz China durch zahlreiche diplomatische Vertretungen auf der ganzen Welt und auch bei den Vereinten Nationen in New York. Erst mit der Öffnung Chinas während der Nixon-Administration und mit dem Besuch von Nixon in China im Jahr 1971 musste es eine Lösung der Frage geben, welcher Teil Chinas denn nun China als Ganzes international vertreten würde, denn die Forderung einer „Zweistaatenlösung“ hatte die amerikanische Seite in den monatelangen Verhandlungen über das Abschlusskommuniqué mit der Regierung in Peking nicht aufrechterhalten können.

Wir verdanken Henry Kissinger und seinen umfangreichen Darstellungen und Erinnerungen den genauen historischen Hintergrund, wie es schließlich zur `Ein-China-Politik´ gekommen ist. Im Abschlusskommuniqué des Nixon-Besuches haben die USA nämlich anerkannt, dass „alle Chinesen auf beiden Seiten der Formosastraße sagen, dass es nur ein China gibt und dass Taiwan ein Teil Chinas ist.“

Damit blieb die Frage ausdrücklich offen, unter welchen Bedingungen und vor allem von welchem Teil Chinas der Wunsch nach Einheit eines Tages denn erfüllt werden sollte. Keine der beiden Seiten würde versuchen, so das Zugeständnis der Volksrepublik an die USA, ihre bevorzugte Lösung durchzusetzen.

Das Bekenntnis zur „Ein-China-Politik“ löst also keinen Anspruch der Volksrepublik China auf die Übernahme von Taiwan aus. Im Gegenteil, eine Wiedervereinigung könnte nur auf friedlichem Weg und mit Zustimmung beider Seiten erfolgen. Daher kann sich die kommunistische Führung in Beijing auch nicht anmaßen zu bestimmen, wer Taiwan besuchen darf und wer nicht. Der Besuch von Nancy Pelosi vor einigen Tagen in Taiwan war also vollkommen in Ordnung. Ob es politisch klug war, zu diesem Zeitpunkt zu reisen, sei dahingestellt.

Aber es bleibt richtig, dass der Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestages plant, im Herbst nach Taiwan zu reisen. Es gibt mehr Anlass denn je, über die Menschenrechtslage in der Region zu sprechen."