„Flüchtlingskrise stellt Europa auf die Probe“
Regierungserklärung zu den Ergebnissen des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs der EU / Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht in der Flüchtlingskrise Europa auf die Probe gestellt
„Ich möchte, dass Europa diese gesellschaftliche, ökonomische, kulturelle und moralische Bewährungsprobe besteht“, sagte Merkel an diesem Donnerstag, in ihrer Regierungserklärung zum informellen EU-Gipfel am Vortag sowie zum UN-Gipfel für Nachhaltige Entwicklung am kommenden Wochenende in New York. Die am Mittwoch bei einem informellen Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs beschlossene Umverteilung von Flüchtlingen könne nur ein Anfang sein. Es müsse ein „dauerhaftes Verfahren“ für eine faire Verteilung der Flüchtlinge gefunden werden, sagte Merkel. Die europaweite Lastenteilung könne zudem auf Dauer nur funktionieren, wenn es auch konsequente Kontrollen an den EU-Außengrenzen gebe, in Italien und Griechenland und gegebenenfalls auch in Bulgarien. Mit Blick auf das Treffen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer, das ebenfalls an diesem Donnerstag (24. September) stattfand, sagte Merkel, dass es nicht nur um finanzielle Fragen bei der Unterstützung von Ländern und Kommunen etwa bei der Unterbringung von Flüchtlingen gehe, sondern langfristig auch um die Eingliederung in Deutschland.
Flüchtlinge müssten die Bereitschaft mitbringen, Regeln und Werte zu respektieren, die das Grundgesetz vorgibt, und die Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen. Asylverfahren müssten deutlich beschleunigt und die „notwendige Rückführung“ nicht Asylberechtigter konsequent durchgeführt werden. Merkel stellte zudem einen Zusammenhang zwischen der Flüchtlingskrise und den globalen sozialen und ökologischen Herausforderungen her, der sich die Weltgemeinschaft an diesem Wochenende beim UN-Gipfel in New York mit der Verabschiedung neuer nachhaltiger Entwicklungsziele bis 2030 stellen will.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks seien derzeit 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, sagte Merkel. Noch immer lebten 1,3 Milliarden Menschen in extremer Armut, 800 Millionen Menschen litten Hunger. „Die Agenda 2030 kann deshalb auch als globaler Plan für die Verringerung von Fluchtursachen verstanden werden.“ Die Bundesregierung werde bereits 2016 ein umfassendes Programm vorlegen, wie Deutschland diese Ziele umsetzen will. „Wir werden Milliarden mehr für Entwicklungshilfe ausgeben“, sagte Merkel. Dazu gehöre auch die Mobilisierung von privatem Kapital, „denn nur mit öffentlichen Mitteln werden wir das nicht schaffen“.
Unionsfraktionschef Volker Kauder nannte die Flüchtlingskrise die „wahrscheinlich größte Herausforderung im Nachkriegsdeutschland“. Dabei müsse es darum gehen, jenen, die hierbleiben könnten, eine Perspektive zu geben, aber auch jenen, die zum Beispiel nicht asylberechtigt sind und aus einem als sicher eingestuften Herkunftsland kommen, zu sagen, „dass sie in unserem Land keine Zukunft haben“. Es helfe überdies nicht, Unsicherheiten in der Bevölkerung auch noch zu bestätigen, die Antwort müsse sein, dass Bund, Länder und Kommunen die Kraft hätten, diese Aufgabe zu stemmen. Kauder nannte zudem den EU-Kompromiss zur fairen Verteilung von 120.000 Flüchtlingen einen richtigen Schritt: „Aber für die Größe der Aufgabe ist das nicht groß genug. Ich möchte, dass die Menschen nicht den Eindruck haben, dass Europa in kleinen Dingen groß, aber in großen Dingen klein ist“, sagte er. „Das kann nicht die Botschaft sein.“
Über die Verringerung von Fluchtursachen ging es auch bei einem Treffen mit Bundesentwicklungsminister Gerd Müller und Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel anlässlich der gemeinsamen Klausurtagung der CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg und der CDU-Landtagsfraktion in der letzten Woche in Berlin. Besonders dringlich sei es, so der Minister, den Flüchtlingen in den Nachbarstaaten der Bürgerkriegsländer Syrien und Irak zu helfen. Die Bundesregierung habe hierzu die Mittel stark aufgestockt und sei bereits seit längerem mit zahlreichen Programmen aktiv. Es sei aber auch notwendig, diese Aufgabe durch die internationale Gemeinschaft anzugehen, denn Deutschland alleine könne dies nicht bewältigen. Gerade die unmittelbaren Nachbarländer Libanon, Jordanien und Türkei würden bereits sehr viele Flüchtlinge beherbergen. Darüber hinaus müsse jedoch auch die wirtschaftliche und soziale Situation in vielen afrikanischen Ländern deutlich verbessert werden. Auch hierfür müsse ein gesamteuropäischer Ansatz gefunden werden.
Gemeinsame Klausurtagung in Berlin
In der letzten Woche kamen die CDU-Landesgruppe Baden-Württemberg im Deutschen Bundestag und die CDU-Landtagsfraktion BW zu einer gemeinsamen Klausurtagung in Berlin zusammen. Dabei stand vor allem das Thema Flüchtlingspolitik im Vordergrund. Mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde über Möglichkeiten gesprochen, wie mit dieser großen Herausforderung umzugehen sei. Die Landesgruppe und die Landtagsfraktion haben dazu einen umfangreichen Maßnahmenkatalog vor-geschlagen, den die Vorsitzenden Thomas Strobl und Guido Wolf in Berlin vorstellten. Die wichtigsten Punkte im Überblick:
Unverzüglich weitere sichere Herkunftsstaaten benennen
„Die Benennung von Albanien, Montenegro und dem Kosovo als sichere Drittstaaten ist längst überfällig. Dies ist ein wichtiges Signal an die Menschen dort und hilft, Verfahren schneller und rechtssicher abzuschließen“, so Thomas Strobl.
Fehlende zwischenstaatliche Solidarität beim Flüchtlingsschutz sanktionieren
„Die Bilder aus Ungarn, aber auch aus den Bayerischen Grenzkommunen zeigen die Dramatik der vergangenen Tage. Sie zeigen aber auch, dass nur ein gesamteuropäisches, solidarisches Handeln die aktuelle Krise wirklich lösen kann. Die Mitgliedstaaten der EU müssen sich schnell auf einen europäischen Verteilmechanismus einigen. Wer aber in der Krise nicht solidarisch ist, der kann auch keine Solidarität erwarten, wenn er die Privilegien und Förderungen der EU in Anspruch nehmen will. Klar ist: Wo ein Wille zur Aufnahme an Kapazitäten scheitert, werden auch wir helfen“, erklärte Guido Wolf.
Unterbringungsinfrastruktur koordinieren
„Das Chaos bei der Erstaufnahme muss ein Ende haben. Wir wollen ein System aus einer Hand, das auch private Projektträger in die Schaffung von Unterbringungsmöglichkeiten mit einbezieht. Systembauweisen und Einkaufsbündelung können Kosten sparen und die Kommunen entlasten“, so Wolf.
„Notunterbringungen“ in Kommunen vermeiden
„Zwangseinweisungen in privaten Wohnraum wird es mit uns nicht geben“, so Wolf. Die CDU fordere, dass die Verteilung auf Erstaufnahmeeinrichtungen regional ausgewogen vorgenommen werde. Dabei sei zu gewährleisten, dass keine Flüchtlinge ohne Gesundheitsuntersuchung und Registrierung in Kommunen untergebracht würden. „Der Vorschlag, Heidelberg als Zentrum für die Registrierung und Gesundheitsuntersuchung von Flüchtlingen auszubauen, fiel ohne die vielbeschworene „Politik des Gehörtwerdens“. Viel Vertrauen wurde in den Kommunen so bereits zerstört. Die Probleme löst dieser Scheinvorschlag aber nicht.“
Weitere Punkte des vorgestellten Maßnahmenkatalogs sind: Beschleunigung der Verfahren durch Schaffung der Landeskompetenzzentren für Asyl und Flüchtlinge (LAF), stärkere Berücksichtigung der Herkunftsstaaten bei der Verteilung auf die Erstaufnahmestellen, um Spannungen zwischen den Flüchtlingen zu vermeiden, frühzeitige Integration durch Alltagserfahrungen und strukturierte Tagesabläufe in den Einrichtungen, Fehlanreize durch den Vorrang des Sachleistungsprinzips vermeiden – Die Gesundheitskarte ist falsches Signal und Schleuserkriminalität und illegale Einreise bekämpfen.
(Bildnachweis: Portraitfoto Dr. Angela Merkel: CDU Deutschlands / Dominik Butzmann.)