Rede im Plenum zum Steuerentlastungsgesetz 2022

Video der Rede von Olav Gutting MdB am 12. Mai 2022 im Deutschen Bundestag

Olav Gutting (CDU/CSU): "Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach monatelangem Drängen der CDU/CSU-Fraktion ist die Regierung nun endlich tätig geworden und legt hier ein Steuerentlastungsgesetz vor. Nur leider erreicht dieses Gesetz überhaupt nicht die selbstgesteckten Ziele. Es ist ein schlecht gemachtes Gesetz, und Sie von der FDP wissen das auch, wenn Sie sich ehrlich machen. Es ist ein schlechtes Gesetz, obwohl es 4,5 Milliarden Euro kostet.

Ich sage Ihnen auch, warum. Die Anhebung des Grundfreibetrages fällt viel zu niedrig aus. Die Inflation aus dem Jahre 2022 haben Sie hier überhaupt nicht berücksichtigt. Und Sie haben vor allem vergessen, den Tarifverlauf anzupassen. Das führt dazu, dass wir eine Stauchung im Anfangsbereich des Tarifs haben. Damit kommt es zu erheblichen Verwerfungen beim Einkommensteuertarif. Diese Maßnahme erzeugt einen noch steileren Anstieg des Tarifverlaufs in der ersten Progressionszone. Sie schaffen es damit, dass noch weniger Anreize bestehen, eine Beschäftigung im niedrigeren Lohnbereich anzunehmen.

Der Bund der Steuerzahler hat errechnet, dass von der Mindestlohnerhöhung zu Beginn dieses Jahres knapp 50 Prozent in Form von Abgaben und Steuern beim Staat landen. Und wenn Sie im Herbst 12 Euro als Mindestlohn einführen, dann wird ein großer Teil dieser Erhöhung nicht bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ankommen, sondern beim Finanzamt landen. Dieser eigentlich wichtige Lohnzuwachs, den wir ja auch unterstützen – es ist richtig, dass es diesen Lohnzuwachs gibt –, wird durch die von Ihnen unterlassene Änderung des Steuertarifs dazu führen, dass es zu einem dicken Begrüßungsgeld beim Fiskus kommt. Die gesamten Tarifeckwerte in der Einkommensteuer müssen angepasst werden; sie müssen nach rechts verschoben werden. Sie wissen das eigentlich. Die Anpassung an die Inflation muss jetzt und darf nicht erst im Herbst oder im nächsten Jahr oder irgendwann erfolgen. Jetzt muss die Anpassung erfolgen, jetzt haben wir Inflationsraten von knapp 8 Prozent! Die Erhöhung des Werbungskostenpauschbetrages, die 1,7 Milliarden Euro Entlastung bringt, ist eine ziemlich teure Gießkanne.

Mit der sogenannten Energiepreispauschale wird dieses Gesetz nun aber tatsächlich zur Farce; denn es wird zu einem Belastungsgesetz für Arbeitgeber und die Finanzverwaltung. Wenn Sie sich Ihr eigenes Ziel vor Augen halten – die kurzfristige und soziale Abfederung von Härten aufgrund der sprunghaft und drastisch gestiegenen Energiekosten –, dann stellen sich doch drei Fragen bei den Betroffenen:

Erstens: Wieso leiden denn in Ihren Augen nur die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unter dieser gestiegenen Inflation, während Rentnerinnen und Rentner, Studentinnen und Studenten, Bezieher von Lohnersatzleistungen und Versorgungsbezügen außen vor bleiben? Zweitens: Wenn die Auszahlung sowieso erst in einigen Monaten kommt: Warum wurde dann kein anderes Verfahren gewählt? Warum haben Sie dieses bürokratische, die Finanzverwaltung und die Arbeitgeber belastende Verfahren gewählt? Drittens: Wieso nehmen Sie durch die sowieso schon rechtlich fragwürdige Besteuerung dieser Pauschale in Kauf, dass die Finanzverwaltung in einer Flut zusätzlicher Arbeit erstickt? Das wird übrigens zur Folge haben, dass im Frühjahr 2023 die Bearbeitungsdauer bei den Steuererklärungen noch länger dauert und dass viele Menschen in diesem Land, die auf die Steuererstattung warten und auf diese dringend angewiesen sind, dann noch länger warten müssen.

Entgegen Ihren Behauptungen und Beteuerungen – wir haben es ja heute Morgen in der Debatte schon gehört – ist die Regelung zur Energiepreispauschale eben nicht sozial ausgewogen. Elterngeldbezieher, junge Familien, Rentnerinnen und Rentner, gerade auch mit niedrigen Renten, Studentinnen und Studenten bleiben beim Bezug außen vor. Die werden doch von den steigenden Energiepreisen mindestens genauso hart getroffen wie alle anderen. Die Auszahlung, so sie denn kommt, kommt zu spät. Wenig verdienende Minijobber und Soloselbstständige bekommen die Energiepreispauschale frühestens im Frühjahr 2023 ausbezahlt, nachdem sie eine Steuererklärung abgegeben haben. Für viele Minijobber bedeutet das, dass sie das erste Mal eine Steuererklärung abgeben müssen, um überhaupt an diese Energiepreispauschale zu kommen. Diese bekommen sie dann nach über einem Jahr, nachdem wir heute diese Debatte führen. Über ein Jahr müssen diese Menschen auf die Entlastung warten. Heute führen wir die Debatte, im Mai 2023 soll dann vielleicht Geld kommen.

Wir jedenfalls werden dem Gesetzentwurf der Ampel nach all dem nicht zustimmen. Stattdessen bringen wir einen eigenen Entschließungsantrag ein, der aus drei Elementen besteht. Erstens: Wir wollen den Steuertarif jetzt an die hohe Inflation anpassen; Betonung auf „jetzt anpassen“. Zweitens: Wir brauchen eine Energiepreispauschale für alle Bürgerinnen und Bürger. Drittens: Wir brauchen ein Verfahren, das weit unbürokratischer ist als das, was Sie hier heute vorgelegt haben. Vielen Dank."