Merkel: „Wir müssen die Europäische Union noch besser machen“
Olav Gutting MdB informiert aus Berlin / Regierungserklärung zu Ergebnissen des informellen Treffens der europäischen Staats- und Regierungschefs / Politik des Dreiklangs in der Ukraine-Krise
In der ersten Sitzungswoche des Deutschen Bundestages nach der Europawahl standen das Wahlergebnis und die Frage nach dessen Auswirkungen im Mittelpunkt der politischen Diskussion. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament hat die Union nicht nur in Deutschland klar als stärkste Kraft gewonnen. Auch die Europäische Volkspartei (EVP) – die konservative Parteienfamilie, zu der auch CDU und CSU gehören – hat am 25. Mai mit fast 30 Prozent der Stimmen europaweit gewonnen. Damit kann sie den Anspruch erheben, den zukünftigen Kommissionspräsidenten zu stellen.
Hintergrund: Der Europäische Rat muss laut Lissabon-Vertrag dem Europaparlament einen Kandidaten mit qualifizierter Mehrheit vorschlagen, das diesen dann per Wahl bestätigen oder ablehnen kann. Das Ergebnis der Europawahl muss dabei berücksichtigt werden. So stellte sich Angela Merkel an diesem Mittwoch in ihrer Regierungserklärung zu den Ergebnissen des informellen Abendessens der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten am 27. Mai in Brüssel sowie zum G7-Gipfel am 4. und 5. Juni in Brüssel klar hinter den Kandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Jean-Claude Juncker, der an die Spitze der Brüsseler Behörde strebt.
Die stärksten Fraktionen des Europaparlaments hatten zügig nach der Wahl angeboten, den ehemaligen Ministerpräsidenten Luxemburgs und früheren Euro-Gruppenchef Juncker als Kandidaten zu akzeptieren. Im Rat der Staats- und Regierungschefs traf der Vorschlag indes nicht auf einhellige Zustimmung. So sprach sich neben Ungarn und Schweden insbesondere Großbritannien gegen Juncker aus. Auf Anraten der Kanzlerin wurde daraufhin der Präsident des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, damit beauftragt, bis zum Gipfel Ende Juni mit allen Beteiligten eine Lösung auszuarbeiten. Dabei soll auch das Arbeitsprogramm der Kommission für die nächsten fünf Jahre erörtert werden.
Gute Ergebnisse in Brüssel, bei denen alles bedacht werde, seien selten überstürzt zustande gekommen, mahnte die Kanzlerin vor dem Bundestag. Bei der Suche nach einer Lösung gehe „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Gleichzeitig warb sie darum, den Vorbehalten des britischen Premiers David Cameron Rechnung zu tragen. Die Lockerheit, mit der manche sich über die Befindlichkeit Großbritanniens hinwegsetzten, halte sie für „grob fahrlässig“, betonte die Kanzlerin. „Es ist alles andere als gleichgültig, unwichtig oder egal“, ob Großbritannien zustimme oder nicht, ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleibe oder nicht. In Großbritannien war die euroskeptische Partei UKIP, die einen Austritt des Landes aus der EU anstrebt, als Sieger aus der Europawahl hervorgegangen. Auch die regierenden Tories drohen mit einem Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU, falls diese sich nicht reformiert.
London sei „wahrlich kein bequemer Partner“, sagte die Kanzlerin. Es habe von Europa schon viel bekommen, aber es habe Europa auch schon viel gegeben. Mit Großbritannien teile Deutschland Werte und Interessen. Gemeinsam verfolgten sie das Ziel einer wettbewerbsfähigen Europäischen Union. Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nannte Merkel auch als Rezept gegen die „dramatische“ Skepsis vieler Europäer, die in ihren Mitgliedsländern europakritischen und populistischen Parteien ihre Stimme gegeben haben.
Merkel betonte die vielfältigen Aufgaben, die auf der Ebene der EU sowie der sieben führenden westlichen Industrienationen anstehen. Sie sprach von einer ermutigenden Entwicklung der Weltkonjunktur. Man dürfe aber „nicht übersehen, dass jedes noch so gute Wachstum auf tönernen Füßen stehen würde, wenn wir nicht weiter konsequent daran arbeiten, die Lehren aus der verheerenden weltweiten Finanzkrise von 2008 und 2009 zu ziehen“. Noch seien Regulierungslücken zu schließen. „Mit der Entfernung zur Krise werden die Beschlüsse eher beschwerlicher.“ Die Bundeskanzlerin weiter: „Wir können und wir müssen die Europäische Union noch besser machen“, mahnte die Kanz-lerin. Das könne gelingen, wenn die EU sich in den nächsten fünf Jahren auf das Wesentliche konzentriere, wenn sie sich an selbst gegebene Regeln und Verträge halte. Sie zeigte sich er-freut darüber, dass in Deutschland die Mehrheit der Wähler sich eindeutig für Europa ausge-sprochen habe.
Politik des Dreiklangs in der Ukraine-Krise
Heftige Kontroversen über die Ukraine-Politik zwischen der Linken und den übrigen Fraktionen im Deutschen Bundestag prägten die Debatte über den außenpolitischen Teil der Regierungserklärung der Bundeskanzlerin an diesem Mittwoch. Die Bundesregierung verfolge seit dem Beginn der Ukraine-Krise eine „Politik des Dreiklangs“, sagte Merkel. Neben der „gezielten Unterstützung der Ukraine“ stehe als zweites „das unablässige Bemühen, im Dialog mit Russland diplomatische Lösungen in der Krise zu finden. Wenn aber Russland weiterhin seine Grenzen nicht ausreichend kontrolliere und „in großem Umfang Kämpfer und Munition in den Südosten der Ukraine gelangen können“, werde man „sich nicht scheuen“, und das sei der dritte Teil des Dreiklangs, „weitere Sanktionen zu verhängen“.
Dabei stellte sie klar: „Sanktionen sind kein Selbstzweck, wir wollen sie nicht. Wir wollen eine enge Partnerschaft mit Russland.“ Wenn Strafmaßnahmen aber unerlässlich seien, um die Ukraine auf ihrem selbstbestimmten Weg zu schützen, werde man sie ergreifen.
Die Präsidentschaftswahl in der Ukraine, aus der der frühere Minister und Unternehmer Petro Poroschenko als klarer Sieger hervorgegangen war, würdigte die Kanzlerin mit den Worten: „Die große Mehrheit der Ukrainer hat sich nicht einschüchtern lassen, sondern hat eine entschlossene Antwort gegeben.“ Angesichts der Tatsache, dass der Unternehmer auch im Osten des Landes mit großer Mehrheit gewählt worden ist, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff: „Poroschenko ist der Präsident aller Ukrainer.“
Merkel forderte Poroschenko auf, gemeinsam mit der Regierung unter Ministerpräsident Arseni Jazenjuk die auf den Weg gebrachten Reformen fortzusetzen: die Novellierung der Verfassung, die Dezentralisierung des Landes, den nationalen Dialog mit allen Kräften, die sich von Gewalt distanzieren. Vom G-7-Gipfel müsse das Signal ausgehen: Poroschenko „verdient unsere Unterstützung“.
Schockenhoff forderte Moskau zu konstruktiven Gesprächen über die Lösung der Ukraine-Krise auf. Er warnte auch davor, die Annexion der Krim einfach als Tatsache hinzunehmen. Dies wäre nichts anderes als die Anerkennung eines Völkerrechtsbruchs. Gerade Deutschland, das nach 40 Jahren der Teilung wiedervereinigt werden konnte, sei ein Beispiel dafür, dass auch die Krim irgendwann wieder zur Ukraine gehören könne.
Bildnachweis: Portraitfoto Dr. Angela Merkel: CDU Deutschlands / Dominik Butzmann.