„Ein Angriff auf die freie und offene Gesellschaft“
Bundestag gedenkt der Opfer der Terroranschläge in Paris
Die erste Sitzungswoche des Deutschen Bundestages im neuen Jahr war überschatten von den Terroranschlägen vom 7. Januar in Paris. So gedachten die Abgeordneten zu Beginn der Plenarsitzung an diesem Donnerstag der Terroranschläge in Frankreich. „Unsere besondere Solidarität gilt in diesen Tagen unseren französischen Freunden. Unser tiefes Mitgefühl ist bei allen Angehörigen der Getöteten und den vielen Verletzten", sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert vor seinen Kollegen, die sich im Gedenken an die Opfer von den Plätzen erhoben. Zugleich unterstrich Lammert an, man müsse die Werte der westlichen Demokratie, die längst universelle Werte der Menschheit geworden seien, gemeinsam verteidigen und ihre Gegner entschlossen bekämpfen: „Die Idee der unantastbaren Würde des Menschen wird am Ende stärker sein als ihr ideologisch verblendeter Hass." 17 Menschen seien skrupellos ermordet, andere zum Teil lebensgefährlich verletzt worden – Journalisten, Künstler und Polizisten, unter ihnen ein Muslim, sowie vier Franzosen jüdischen Glaubens. Der Mordanschlag von Paris habe nicht allein einer bestimmten Zeitung und den Menschen, die sie machen, sondern der Freiheit der Meinung und der Presse gegolten: „Es war ein demonstrativer Angriff auf die freie und offene Gesellschaft, auf unsere geschriebene und ungeschriebene Verfassung, unsere Überzeugungen und unsere Werte.“
Die demonstrativ erhobenen Stifte und Plakate als Zeichen für das freie Wort, die millionenfach geteilte Parole "Je suis Charlie", "Ich bin Journalist, bin Jude, bin Polizist, bin Ahmed" vermittelten die unmissverständliche Botschaft: ,Nous sommes tous Charlie.‘ Wir alle sind gemeint. Man werde sich nicht einschüchtern lassen und schon gar nicht die Prinzipien aufgeben, die seit der französischen Revolution gemeinsame Grundlage der europäischen Zivilisation geworden sind: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Wenn es Freiheit geben solle, müsse sie für alle gelten.
Wenn es Gleichheit geben solle, müsse sie für alle Menschen gleiche Rechte und Pflichten bedeuten, unabhängig von Herkunft, Glaube und Geschlecht. Wenn Brüderlichkeit mehr sei als ein Wort, müsse sie sich in Solidarität ausdrücken „für die Schwächeren, die Ärmeren, die Benachteiligten in unseren Gesellschaften“, betonte der Präsident. Freiheit sei nur möglich, wenn Zweifel erlaubt ist „an dem, was wir kennen, was wir gelernt haben, was wir wissen, zu wissen glauben, was wir zu glauben gelernt haben“.
Der Zweifel sei der Zwillingsbruder der Freiheit. Ohne Zweifel an tradierten Positionen und Kritik an bestehenden Verhältnissen gebe es weder Fortschritt noch Freiheit. Deshalb habe die Freiheit der jeweils eigenen Meinung, der Rede, der Kunst und nicht zuletzt der Presse eine „herausragende, unaufgebbare Bedeutung für die Lebensbedingungen in unseren demokratisch verfassten Gesellschaften“. Man werde sie von niemandem zur Disposition stellen lassen, so Lammert unter dem Beifall des ganzen Hauses.
Diese Entschlossenheit brauche es über den Tag hinaus, denn die Bedrohung sei real, jederzeit und überall. „Wir werden in Staat und Gesellschaft stärker als bisher vorbeugend handeln müssen, wollen wir verhindern, dass junge Männer und auch Frauen für den Islamismus und Dschihadismus anfällig werden, frustriert, verblendet und verführt von Deutschland aus für eine menschenverachtende Ideologie in einen gottlosen Krieg ziehen.“
In diesem Sinne sprach sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in einer Regierungserklärung für die umstrittene Vorratsdatenspeicherung aus. Der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht hätten „den Rahmen beschrieben, in dem eine Regelung der Mindestspeicherfristen für Kommunikationsdaten erfolgen kann“. Angesichts der „parteiübergreifenden Überzeugung aller Innenminister von Bund und Ländern“, solche Fristen zu brauchen, sollte darauf gedrungen werden, dass dazu zügig eine überarbeitete EU-Richtlinie vorgelegt wird, um sie dann in deutsches Recht umzusetzen.
Zur Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion Volker Kauder, alle „für die Sicherheit relevanten Persönlichkeiten“ forderten verbesserte Möglichkeiten, Kontaktdaten zu prüfen und daraus Erkenntnisse zu erzielen. Dabei sei die Vorratsdatenspeicherung kein Präventions-, sondern ein Ermittlungsinstrument. Man müsse sich damit befassen, ob man eine solche Möglichkeit in den verfassungsrechtlichen Grenzen nutzen wolle.