Gedenken an die Reichspogromnacht vor 85 Jahren

Olav Gutting MdB veröffentlicht Beitrag des CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz MdB

"Sehr geehrte Damen und Herren, heute ist es 85 Jahre her: Am Abend des 9. November 1938 überfallen Mitglieder der SA und der NSDAP im gesamten Deutschen Reich jüdische Einrichtungen und jüdischen Besitz. Sie setzen Synagogen in Brand, verwüsten Geschäfte, dringen in Wohnungen ein. Sie lynchen, vergewaltigen, töten jüdische Bürgerinnen und Bürger. Tausende Jüdinnen und Juden werden in den Folgetagen verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Mit der Reichspogromnacht beginnt, was wir heute den Holocaust nennen: Die brutale, systematische Vernichtung von jüdischem Leben in Deutschland.

Der Antisemitismus ist zurück auf deutschen Straßen

Noch vor wenigen Wochen war für mich unvorstellbar, was wir heute erleben: Der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoa, das Massaker der Hamas am 7. Oktober in Israel, wurde in der deutschen Hauptstadt von Teilen der Bevölkerung als Freudenereignis gefeiert. Jedes Wochenende wird seitdem in deutschen Städten Israels Existenzrecht in Frage gestellt. Jüdinnen und Juden werden beschimpft, jüdische Wohnhäuser markiert, jüdische Einrichtungen bedroht. Wenn wir in diesen Novembertagen gemeinsam der jüdischen Opfer des Novembers 1938 gedenken, dann fordert dieses Gedenken Taten von uns. Gemeinsam und einzeln sind wir in der Verantwortung, das „Nie wieder“ gilt: um unser aller willen. „Nie wieder“ ist die Lebensader unseres freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens. Bedingungslos bekennen wir uns damit zum Recht jedes Menschen auf ein Leben in Freiheit und Sicherheit.

Es braucht jeden von uns

Wenn wir heute zurückblicken auf die Reichspogromnacht, dann müssen wir uns fragen: Was hat die nicht-jüdische deutsche Zivilbevölkerung getan in dieser Nacht, in den Folgetagen? Die Antwort ist bitter: Manche beteiligten sich an den Ausschreitungen gegen ihre jüdischen Nachbarn. Andere versammelten sich als Gaffer an den Tatorten. Kaum jemand zeigte Zivilcourage, wenige protestieren. Obwohl viele wohl entsetzt waren von der Gewalt. „Nie wieder“ bedeutet: Dieses Schweigen darf sich nicht wiederholen. Wenn wir heute Zeuge werden von Antisemitismus, dann dürfen wir nicht zögern, dagegen aufzustehen, dagegen das Wort zu erheben. Gemeinsam und allein. Auf der Arbeit, in der Schule, im Internet, auf der Straße: Wir sind als Bürgerinnen und Bürger gefragt, einzutreten für jüdisches Leben in Deutschland. Und wir sind gefragt, Jüdinnen und Juden zu zeigen: Ihr seid Teil dieses Landes und ihr seid eine Bereicherung für dieses Land.

Es braucht Gesetze gegen Antisemitismus

Was heißt „Nie wieder“, wenn wir auf die staatliche Ebene blicken? Auch diese Frage muss sich jeder von uns stellen, denn als Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind wir nicht nur Teil der Zivilgesellschaft, wir sind als Wahlvolk auch selbst die Staatsgewalt. Für mich hat die Antwort mehrere Teile: „Nie wieder“ bedeutet, dass wir als Staat mit Gesetzen dafür sorgen, dass antisemitische Äußerungen hart bestraft werden können und die Einwanderung von Antisemiten unterbunden wird. „Nie wieder“ bedeutet, dass wir als Staat mit Bildungsmaßnahmen gegen Antisemitismus in den Köpfen anarbeiten – in den Schulen, aber auch in den Integrationskursen. „Nie wieder“ bedeutet, dass wir den Staat Israel unterstützen – zum Beispiel, indem wir auf internationaler Bühne Position für Israels Recht auf Selbstverteidigung beziehen oder uns einsetzen für Sanktionen gegen antiisraelische Gruppierungen in Israels Nachbarländern. „Nie wieder“ bedeutet, dass Deutschland als Anwalt der Menschenwürde und des Völkerrechts auftritt – zum Beispiel, indem wir in Gaza humanitäre Hilfe leisten.

Aktives Gedenken

Aktives Gedenken an die Reichspogromnacht heißt: Immer wieder zu prüfen – im demokratischen Gespräch und im Dialog mit dem Staat Israel –, wie wir diesen Grundsätzen bestmöglich gerecht werden können. Die CDU steht heute, gestern und morgen für ein gelebtes „Nie wieder“. Als Partei stehen wir an der Seite der jüdischen Deutschen und hinter den Jüdinnen und Juden in aller Welt. In einer Zeit, in der jüdisches Leben weltweit bedroht ist wie seit dem Holocaust nicht mehr, in der Holocaust-Überlebende um ihre verschleppten Enkel bangen müssen: In dieser Zeit kommt es auf unseren Einsatz an. In dieser Zeit kommt es auf jeden Einzelnen an. In dieser Zeit kommt es auf Sie an."

Foto / Copyright: CDU / Christiane Lang

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